Großangriff auf Kiel

Freitag, 14.05.1943

(1) Eine große Anzahl an Flugzeugen stieg in die Luft, als Teil einer kombinierten Offensive gegen die Wehrmacht. 154 B-17, 21 B-24 und 12 B-26 wurden auf vier Ziele abgesandt. Hauptziel war die U-Bootwerft und der Marinestandort in Kiel. 126 B-17 und 17 B-24 trafen ihre Ziele zwischen 12.00 Uhr und 12.03 Uhr. Abgeschossen wurden hierbei 3 B-17 und 5 B-24. 27 B-17 und 10 B-24 wurden beschädigt. 3 Besatzungsmitglieder wurden getötet, 17 verwundet und 81 werden vermisst.

(2) „Bei herrlichem Sommerwetter und strahlend blauen Himmel waren ca. 75 feindliche Flugzeuge gemeldet, wovon 30 Kiel anflogen. Sie warfen innerhalb von 10 Minuten ca. 380 Spreng- und 5 bis 6.000 Brandbomben ab, die eine fürchterliche Wirkung hatten. Als wir aus den Luftschutzräumen herauskamen, hatte sich der Himmel verdunkelt, die Sonne war durch den Qualm nicht mehr zu sehen. In Gaarden brannten ganze Straßenzüge, und das Feuer hatte einen Sturm entfacht. Das war der bisher größte Angriff auf Kiel.Die Germaniawerft wird für einige Zeit nicht voll arbeiten können. Viele Häuser wurden zerstört oder beschädigt. Eine große Anzahl Haushaltungen ist ohne Licht, Wasser und Gas. Eine Massenbespeisung muss durchgeführt werden. Die Straßenbahn Linie 8 nach Wellingdorf kann für längere Zeit nicht fahren. Ungefähr 2.700 Wohnungen sind durch Total – bzw. Großschäden vernichtet worden. 2805 Personen müssen evakuiert werden. 354 Todesopfer sind zu beklagen. Das Licht in unserem Luftschutzkeller war ausgegangen und die Notbeleuchtung wurde eingeschaltet. Ein besonders schwerer Brocken, eine 42 Zentner schwere Sprengbombe, krepierte auf freiem Feld zwischen Preetzer Chaussee und Segeberger Straße. Der Durchmesser des Bombentrichters beträgt ca. 23m bei einer Tiefe von 8 -10m. Ein Flugzeug wurde in nordwestlicher Richtung abgeschossen. Mehrere Flieger sprangen mit dem Fallschirm ab.“

Bericht des Zeitzeugen Jochen Große aus Heikendorf zum Luftangriff auf Kiel am 14.05.1943:

Gegen Mittag des 14. Mai, einem wolkenlosen Frühlingstag, wurden die ABC-Schützen der Volksschule in Kiel-Gaarden nach dem Voralarm in den Keller der Schule geführt. Dieser hatte der keinerlei technischen Schutz gegen Bomben. Ich stand direkt am Kellerfenster auf Höhe des Schornsteins. Durch den Kellerrost sah ich helle Blitze. Die Schüler schrien nach jedem Blitz bzw. nach jeder Erschütterung. Irgendwann verließen wir den Keller und wurden ohne Begleitung nach Hause geschickt. Ich entdeckte ein Auto auf dem Dach der Schule. Es stand auf seinen vier Rädern. Das fanden wir auch in den nächsten Tagen noch toll. Nach meiner Erinnerung stand diese Autowrack noch 1947/48 auf der Rasenfläche Kaiserstraße 63a.

Mit meiner Mutter hatte ich vorher den Nachhauseweg eingeübt. Ich ging auf dem Weg zur Bothwellstraße 4 über den Vinetaplatz in die Wikingerstraße, kam aber an der Kreuzung zur Johannesstraße nicht weiter, weil gerade ein riesiger Dachstuhl brennend aus dem Haus Wikingerstraße 5 (oder der Baulücke daneben) auf die Straße krachte. Wie ich nun weiterkam, ist mir nicht mehr erinnerlich, jedenfalls kam mir meine Mutter an der Ecke Kaiserstraße / Pickertstraße entgegen. Ich fühlte mich jetzt geborgen und war der schrecklichen Verantwortung für den richtigen Nachhauseweg enthoben.

Wir wohnten in der 3. Etage der Bothwellstraße Nr. 4 (Neubauten ca. 1937/38, schon mit WC in der Wohnung und Betondecken, Eigentümer: Schlachter Bierwitz aus der Augustenstraße). Vom Balkon konnte ich beobachten, wie der Altbau des heutigen Hauses Ostring Nr. 172 brannte. Dieses Haus und die weiteren 5-7 nördlich hatten alle Holzdecken und Holztreppenhäuser. In den nächsten 3 Stunden gerieten alle Häuser nacheinander über die brennenden Dachstühle bis zu dem heute noch stehenden Haus Ostring Nr.188 in Brand. Unvergesslich ist für mich, dass die Bewohner jeweils kurz vor Erreichen des Feuers begannen, ihre Bettwäsche und sonstige leichte Gegenstände aus den oberen Etagen in den Hof zu werfen. Wir haben natürlich auch schon gebangt, ob das Feuer auch zu uns auf die gegenüberliegende Seite kommen würde. Die Feuerwehr erschien erst am späteren Nachmittag, also nach 3 bis 4 Stunden. Sie konnte nur noch das Haus Ostring Nr. 188 retten. Es steht heute noch.

Später als Kind hatte ich Alpträume, weniger wegen der Bomben, sondern wegen des möglicherweise umfallenden Schornsteins, obwohl ich heute weiß, dass Schornsteine nie in voller Länge umfallen und auch selten von Bomben direkt getroffen werden.

Meine Mutter und meine zwei- und 12-jährigen Schwestern wurden anschließend nach Franken evakuiert. Mein Großvater Paul Beutler, ehemals Schirrmachermeister auf der Germaniawerft, bewachte unsere Wohnung. Er kam am 16.9.1944 im Luftschutzkeller dieses Hauses nach einem Bombenvolltreffer ums Leben. 1946/47 konnte ich noch unsere Tapeten an der Wand nördlich zum Nachbarhaus erkennen.

Nachtangriffe durch englische Bomberverbände müssen auch schon vor dem 14.05.1943 stattgefunden haben. Meine Mutter weckte uns dann und lief mit den 3 Kindern entweder in den Pickert-Hochbunker (auf dem Hinterhof Ecke Kaiserstraße/Pickertstraße, in den 60ger Jahren abgerissen) oder in den Hochbunker vor der Schule Große Ziegelstraße.

Erinnerlich ist mir besonders, dass einmal die Türen des Pickertbunker wegen Überfüllung geschlossen waren. Wir liefen dann über den Ostring zum Bunker Große Ziegelstraße. Ich hörte schon irgendwo Bomben fallen. Ein anderes Mal war der Bunker Pickertstraße so überfüllt, dass einige Menschen wegen Sauerstoffmangel umfielen. Bei Schwankungen des Bunkers fand ein infernalisches Geschrei statt, das mir heute noch in den Ohren klingt. Hier standen Stockbetten dreifach übereinander, in jedem der Betten lagen 7-8 Kinder.

Das Haus uns gegenüber Bothwellstraße 7 oder 9 erhielt wohl schon vor 1942 oder früher einen Volltreffer. Es wurde wieder aufgebaut. Kaum war es fertig, fiel wieder eine Bombe hinein und es war weg. In das Haus Pickertstraße 14 / Jachmannstraße 4 fiel auch am 14.5.1943 eine Bombe. Diese explodierte jedoch nicht. Nach dem Blindgänger wurde lange gegraben, aber nichts gefunden. Selbst in der Nachkriegszeit bis in die 50 Jahre wurde mehrmals gegraben. Wiederum ergebnislos.“

Jochen Große machte 2002 mit Freunden eine Golfreise nach Wales. „In einem PUB in Albergavenny wurden wir von einem älteren Gentleman angesprochen, der uns wohl als Deutsche erkannte. Aus welcher Stadt wir wohl kämen, fragte er. Kiel war die Antwort. Oh, Kiel sei ihm aus mehreren Besuchen bekannt. Wo er denn gewohnt habe, fragten wir. “Ich habe da nicht wohnt, ich habe Bomben auf die Ubootswerften geworfen, aber nicht freiwillig, die Engländer haben mich dazu gezwungen”. „Wir schieden nach mehreren Pint als Freunde.“

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