Der folgende Bericht stammt von einem unbekannten Verfasser und spiegelt sehr detailliert seine persönlichen Erlebnisse kurz nach dem ersten Großangriff auf Berlin wieder, wie sie von tausenden Menschen in zahlreichen anderen Städten ähnlich oder noch schlimmer erlebt haben. Nicht zu vergessen, dass unzählige Bomben nicht nur aus amerikanischen und englischen, sondern auch aus deutschen Flugzeugen gefallen sind.
Persönliche Beobachtungen beim ersten Großangriff auf Berlin am 22.11.1943
Ich befand mich am Abend des 22.11.1943 im D-Zug Kiel-Berlin. Kurz hinter Ludwigslust war Fliegeralarm gegeben, der sich dadurch äußerte, dass der gesamte D-Zug in Dunkel gehüllt würde und verhältnismäßig langsam weiterfuhr. Nach mehrmaligem Halten gelangten wir gegen 09.30 Uhr nach Bahnhof Albrechtshof (eine Vorortstation vor Spandau-West).
Rechts vom D-Zug waren in einiger Entfernung (gegen Staaken) größere Brände vom Zug aus zu sehen. In der selben Richtung weiter südlich und südöstlich war der Himmel gerötet. Ebenso waren schräg links voraus in Richtung Spandau einzelne Brandherde zu sehen. Wenige Minuten später wurde wieder Alarm gegeben, der etwa bis 10.30 Uhr dauerte. Während dieses Alarms war nichts weiter zu beobachten als das aus der Ferne hereindringende Geräusch mehrerer Motorspritzen. Zur Abstellung eines D-Zuges während eines Alarms schien allerdings der Platz wenig geeignet. Linkerhand befand sich irgendein größeres Fabrikgebäude, rechts war der D-Zug hell beleuchtet durch die Flak. Die Stationsvorsteherin konnte keine Auskunft über die Weiterfahrt geben, wusste auch vorläufig über den Zustand in Berlin nichts. Eine größere Anzahl Unentwegter, die in der Gegend Berlin-West zu Hause waren, meist Soldaten und einige junge Mädchen, machten sich mit Gepäck trotz des langsam einsetzenden Regens auf den Weg, da inzwischen bekannt geworden war, dass in der Nähe des Bahnhofs Spandau-West irgendetwas passiert sein sollte. Etwa gegen 11.00 Uhr setzte sich der Zug in Richtung Spandau langsam in Bewegung und erreichte kurz nach 11.00 Uhr Spandau-West. Hier wurde nun bekanntgegeben, dass die Strecke zwischen Spandau-West und Spandau-Hauptbahnhof unpassierbar sei. Die Fahrgäste wurden aufgefordert, sich zu Fuß nach Spandau-Hauptbahnhof zu begeben, da von dort ein Vorortzug nach Lehrter-Bahnhof abgehen sollte. Während ein großer Teil der Fahrgäste auf den Gleisen entlangging, zog ich es vor, zusammen mit vier Soldaten durch die mir bekannten Hauptstraßen zum Bahnhof zu gelangen. Vor dem Rathaus Spandau, unmittelbar neben der Straßenüberführung der Eisenbahn, muss irgendein schweres Kaliber niedergegangen sein, da auf dem Rathausplatz an sich keine direkten Spuren zu sehen waren, eine Gaslaterne aber vollkommen demoliert war und mit hoher Flamme brannte. Die Straßen vor dem Rathaus waren mit Glassplittern und Dachziegeln übersät. Rings um das Rathaus machten sich diese Fernwirkungen einer Luftmine bemerkbar. Brände waren nicht zu sehen. Erst jenseits der Spree auf der Straße zum Bahnhof Spandau war das letzte Stück bereits abgesperrt und mit mehreren Kraftspritzen KS8, insgesamt etwa 8-10 Mann, bemühten sich, das Feuer eines lichterloh brennenden großen Hauses zu bekämpfen. Da gleichzeitig auch die Straßen mit Glassplittern und Dachziegeln übersät waren, mussten in dieser Gegend auch Sprengbomben niedergegangen sein, von denen aber ebenfalls keine Trichter zu sehen waren. Das Bahnhofsgebäude des Bahnhofs Spandau brannte ebenfalls. Davon waren aber die Bahnsteige nicht berührt und der Zug wurde wie beabsichtigt abgefertigt, ohne dass sich das Bahnhofspersonal durch das in der Nähe brennende Bahnhofsgebäude beeinflussen lies. Der Vorortzug war verhältnismäßig kurz und dementsprechend erheblich überbelegt. Es wurde weder von dem Zugbegleitpersonal noch von auf dem Bahnhof anwesenden Beamten der Versuch unternommen, die Reisenden des D-Zuges bzw. die etwa 300 Urlauber des Zuges zu den Brandschutzarbeiten heranzuziehen. Es schien, als wenn man den Bahnhof und seine Umgebung bereits aufgegeben habe. Langsam von Block zu Block fuhr der Vorortzug in Richtung Berlin. Rechts und links der Bahn konnten umfangreiche Brände, insbesondere in den dort befindlichen Barackenlagern und in den Gebäuden von Siemensstadt festgestellt werden, ohne dass allerdings Einzelheiten zu erkennen waren. Lediglich den Siemenswerken schien eines der hohen mehrstöckigen Gebäude in seinen oberen Stockwerken stark zu brennen. Merkwürdigerweise konnte man in Richtung Berlin keine Wahrnehmung machen, die auf einen so großen Angriff, wie er sich später herausstellte, schließen lassen. Vermutlich hängt dies mit der Tatsache zusammen, dass die tiefhängenden Wolken und der einsetzende Sprühregen jede weite Sicht verhinderten. Gegen 13.00 Uhr gelangte der Vorortzug zum Bahnhof Jungfernheide. Nach einem etwa halbstündigen Aufenthalt wurde vom Zugpersonal mitgeteilt, dass mit einer Weiterfahrt des Zuges in den nächsten Stunden nicht zu rechnen wäre, da die restliche Strecke abgesperrt sei. Unser Abteil, ein einfachen Personenzugabteil, war mit acht Sitzplätzen und etwa zehn Stehplätzen belegt, so dass es ein großer Teil der Zuginsassen vorzog, den Zug zu verlassen. In der Umgebung des Bahnhofs Jungfernheide waren einige Holzbauten bereits abgebrannt und glühten nur noch. In Richtung Berlin war eine leichte Rötung am Himmel festzustellen und man konnte deutlich in der verhältnismäßig unheimlichen Ruhe von mehreren Seiten das Geräusch von Motorspritzen hören.
Zusammen mit etwa zehn Männern, darunter zwei Marineoffizieren und vier Urlaubern, die ihren Transport zur Ostfront am Schlesischen Bahnhof erreichen wollten, machte ich mich zu Fuß auf, um mein Hotel am Bahnhof Zoo zu erreichen. Es schlossen sich uns noch einige weitere Männer an, von denen die zwei Marineoffiziere, zwei Zivilisten und zwei weitere Soldaten ebenfalls zum Bahnhof Zoo wollten. Wenige hundert Meter vom Bahnhof Jungfernheide entfernt waren bereits auf der Straße mehrere ausgebrannte Brandbomben zu erkennen. In den Seitenstraßen waren einige Löschmannschaften mit Schlauchmaterial eingesetzt, die mit den ihnen zugewiesenen Bränden scheinbar schon fertig geworden waren, da größere Flammwirkung nach außen nicht mehr zu erkennen war. Es war inzwischen etwa 13.30 Uhr geworden. Lediglich rechter Hand brannte ein großer Kahn in der Spree, dessen Feuer ebenfalls mit einer Kraftspritze bekämpft wurde. Größere Schäden begegneten uns zuerst an den großen Straßenkreuzungen der Schlossbrücke Charlottenburg, wo Eckhäuser hell brannten und zum Teil schon ziemlich weit heruntergebrannt waren. Eines der Eckhäuser musste auch von einer Sprengbombe getroffen sein, da es bereits eingestürzt war und die Trümmer auf dem Gehsteig lagen. Wie sich später herausstellte, lag auf der rechten Seite der Brücke auch ein Blindgänger, wie beim Rückweg am nächsten Morgen durch die Absperrung feststellen konnte. An dieser Stelle waren kaum Hilfsmannschaften zu sehen.
Beim Weiterweg zur Berliner Straße konnte man rechts zwischen den Bäumen einige Gebäude brennen sehen, die offenbar zum Charlottenburger Schloss gehörten. Erst beim Einbiegen in die Berliner Straße nahmen die Brände zu. Schon vorher konnte man auf den Straßen eine sehr große Anzahl Reste von Brandbomben und kleinen Brandstellen sehen. Inzwischen war unser Trupp auf 10-20 Mann angewachsen, die wir uns überlegten, ob es zweckmäßig sei, in die Berliner Straße hineinzugehen. Durch die Tatsache, dass wir nur in unmittelbarer Nähe der Stelle, wo wir uns befanden, erhebliche Brandherde feststellen konnten, ließen wir uns verleiten, die Berliner Straße in Richtung Osten zu begehen, da wir im Hintergrund der Straße keine Brände entdecken konnten. Wie sich später herausstellte, führte die tiefliegende Wolkendecke und der dadurch bedingte niedrig gehaltene Qualm und Staub zu diesem Trugschluss. Von der ersten Querstraße ab (Lohmeyerstraße) war praktisch kaum noch ein Haus zu entdecken, das nicht brannte. Ein Teil der Häuser brannte in den oberen Stockwerken, einige wenige waren bereits bis zu den unteren Stockwerken in Brand. An einigen Stellen waren der Qualm und der Funkenregen so stark, dass eine genaue Sicht nicht möglich war.
Eine besonders massive Schadensstelle war der Richard-Wagner-Platz. Hier konnte man zum ersten Male auch die Wirkungen von Sprengbomben feststellen, da in der Nähe dieses Platzes Trümmer auf der Straße lagen. Auch das kurz darauf passierte Rathaus Charlottenburg brannte. Nur an einigen Stellen waren Einwohner mit der Bergung ihres Hausrates beschäftigt. Ein großer Teil trug bei dieser Arbeit die Volksmaske, meist ohne Filter. Später erhob sich ein starker Wind, der von Westen nach Osten blies, so entschlossen wir uns, trotzdem wir uns von dem riesigen Ausmaß der Brände in dieser Gegend überzeugen mussten, unseren Weg fortzusetzen, da wir alle ohne Gasmasken und Augenschutz es nicht mehr unternehmen konnten, gegen den Funkenregen und Staubsturm nach Westen zu gehen. Da ich mich in dieser Gegend gut auskannte, übernahm ich die Führung für die etwa 20 Männer, von denen einige immer noch hofften, dass man zum Zoo durchkommen könnte. Beim Weg zum Knie war die Hitze stellenweise recht unangenehm. An allerdings nur einigen Stellen zeigten Trümmer auf der Straße an, dass Sprengbomben die umliegenden Häuser getroffen hatten. Allmählich nahm der Sturm erheblich zu und der Funkenflug nahm beträchtliche Formen an. Stellenweise musste ich mehrere Funken vom Hut und Mantel gleichzeitig entfernen, und der Sturm brachte eine erhebliche Menge Staub und Asche mit sich, so dass ein Gegenangehen nach Westen ausgeschlossen schien. Auffällig waren die Beobachtungen, die bereits am Richard-Wagner-Platz, aber auch an anderen Straßenkreuzungen gemacht werden konnten, dass nämlich an diesen Stellen der Sturm praktisch aus allen Straßen zu dem Platz hin wehte und dort erhebliche Funkenwirbel verursachte. Als wir nicht mehr weit entfernt vom Knie sein konnten, war bereits das Heulen des Sturmes unheimlich geworden und man konnte praktisch keinerlei Menschen mehr auf den Straßen sehen.
Wir waren ziemlich zusammen geblieben und waren uns nun alle darüber klar geworden, dass ein Weitermarsch nur noch in Frage käme in einer Richtung, die uns aus dem Brand herausführen musste. Da außer mir keiner ortskundig war, übernahm ich die Führung unter ausgesprochenem Hinweis darauf, dass es dringend notwendig sei, möglichst schnell über die breite Charlottenburger Chaussee zum Tiergarten zu gelangen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass eine so breite Straße, wie die Berliner Straße sie darstellt, die auf beiden Seiten einen sehr breiten Gehweg, dann eine doppelte Fahrbahn, und in der Mitte ein Glacis für die Straßenbahn hat, an einigen Stellen nahezu unpassierbar geworden war. Insbesondere durch den aufkommenden Feuersturm konnte an einer Stelle kurz vor dem Knie eine Beobachtung gemacht werden, die bisher für unmöglich hielt. Ein mehrstöckiges Geschäftshaus, das in seiner untersten Etage ein größeres Ladengeschäft hatte, war bereits vollkommen durchgebrannt. Der Sturm drückte von oben in diesen brennenden Laden und die Flammen aus dem Laden mit seinen zwei Schaufenstern derartig auf die Straße, dass die Flammenspitze bis auf die Hälfte der Straße getrieben wurde, so dass wir an dieser Stelle gezwungen waren, ganz auf die linke Seite hinüberzugehen, da in der Mitte der Straße die Glut bereits unerträglich war. Wenn man sich nun vorstellt, dass eine ähnliche Brandstelle auch auf der anderen Seite hätte sein können, so muss man zu dem Schluss kommen, dass selbst so breiten Straßen, wie es die Berliner Straße ist, unpassierbar werden können. Am Knie hatte sich nun ein sehr starker Sturm entwickelt, der aus der Berliner Straße und aus der Bismarckstraße in Richtung Tiergarten blies. Ferner waren Gebäude an der Ecke Berliner Straße – Hardenbergstraße durch Sprengbomben auf die Straße gelegt. Straßenbahndrähte hingen wirr herum, so dass wir alle es für ausgeschlossen hielten, die Hardenbergstraße nach dem Zoo hin einzuschlagen. Auf der linken Seite der Berliner Straße konnte man über einige Trümmer und einige umgefallene Bäume hinweg an der brennenden Technischen Hochschule vorbei den Weg zum Tiergarten einschlagen.
Inzwischen war aber die Sicht trotz der hellen Flammen so schlecht geworden, dass eine genaue Orientierung für einen nicht gut Geländekundigen ausgeschlossen sein musste Ich habe z.B. den Platz am Knie erst erkannt, als ich praktisch auf dem Platz stand und vor mir den Eingang zur U-Bahn hatte. Ein Teil der Männer verschwand in die U-Bahn, wir anderen zogen es vor, zum Tiergarten durchzukommen.
Während wir bisher von einer irgendwie geregelten Abwehr der Brände nichts beobachten konnten, waren am Landwehr-Kanal eine größere Anzahl schwerer Einheiten eingesetzt und bekämpften die Brände des dortigen Ufers. Funkenflug, Qualm und Rauch ließen erst nach, als ich die Brücke der S-Bahn am Bahnhof Tiergarten erreichte. Da inzwischen auch ein etwas stärkerer Regen einsetzte – es war etwa 15.00 Uhr geworden – war für viele diese Brücken ein trockener Aufenthaltsplatz. Da ferner an dieser Stelle der Wind von Südwesten blies, war eine Belästigung durch Rauch gering, und von vorne konnte man die strahlende Wärme, die von der brennenden Porzellan-Manufaktur herkam, angenehm empfinden. Ich versuchte nun von hier zum Zoo hindurch zu kommen. Inzwischen hatte sich aber, wie man durch das Brausen und den Funkenflug in den Lüften feststellen konnte, in dieser Gegend ein ausgesprochener Feuersturm entwickelt, der im großen und ganzen von Südwesten nach Nordwesten blies, so dass bei dem Versuch nach Nordwesten durchzukommen, Funken und Asche, die vermutlich von den brennenden Balken des Ministeriums Speer herkamen, das Weiterdurchkommen unzweckmäßig erscheinen ließen. So versuchte ich nun, über die Hofjägerallee und Friedrich-Wilhelm-Straße zu der Zweigniederlassung des Drägerwerks am Lützow-Platz zu kommen, da mir inzwischen auch ein Flakleutnannt, der sich vom Tauentzien-Kino ebenfalls zum Tiergarten durchgeschlagen hatte, erzählte, dass in der Gegend des Zoo kaum mit einem intakten Hotel zu rechnen sei. Ich hatte nämlich immer noch die Hoffnung, mein Hotel aufzusuchen, da mir auch jetzt noch trotz der bereits festgestellten großen Ausmaße die Möglichkeit dazu vorhanden schien. Auf der Charlottenburger Straße bis zum großen Stern müssen nun einige schwere Bomben niedergegangen sein, die Straße war an einigen Stellen erheblich aufgerissen. In einem Trichter steckt ein verlassener Personenkraftwagen, einige Gaslaternen und Bäume waren umgelegt. Auf dem Gehweg lag an einer Stelle der Mantel einer 250 lbs., wahrscheinlich eine Zielmarkierungsbombe, die von den Fußgängern mit respektvollem Abstand als „Blindgänger“ umgangen wurde. Da der Bombenkörper aber hohl war, und keinerlei Phosphorspuren in der Nähe zu sehen waren, muss es sich wohl um eine Zielmarkierungsbombe gehandelt haben. Während meines Aufenthaltes unter der Brücke des Bahnhofs Tiergarten und beim Weitermarsch auf der Charlottenburger Chaussee gingen in Richtung Schlosspark Bellevue und in Richtung Klopstock-Straße insgesamt etwa drei Langzeitzünder los, die aber von den Passanten kaum beachtet wurden. Durch die Bäume konnte man feststellen, dass die Häuser der Klopstock-Straße brannten. Es sah so aus, als ob die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche noch intakt war. Man konnte allerdings das Schloss Bellevue brennen sehen. In der Hofjägerallee beim Eintritt in die Friedrich-Wilhelm-Straße stand man wieder an einem ununterbrochenen Flammenmeer gegenüber, das ein Durchdringen zum Lützow-Platz als unmöglich erscheinen lies, zumal aus der Friedrich-Wilhelm-Straße mehrere Männer eiligst herauskamen, darunter auch ein SA-Führer, der mitteilte, dass von der Tauentzienstraße bis zum Lützow-Platz Flächenbrände ausgebrochen seien, die ein Durchkommen nicht mehr ermöglichten. Insbesondere die beiden Häuser Tiergarten – Friedrich-Wilhelm-Straße brannten lichterloh. Wenige Meter hinter der Kreuzung musste eine Sprengbombe erhebliche Trümmer auf die Straße geworfen haben, wie man erkennen konnte. Die Glut lies ein weiteres Vordringen unzweckmäßig erscheinen. Da aber inzwischen ein erheblicher Regen eingesetzte, zog ich es zusammen mit einigen Passanten vor, zur Brücke am Bahnhof Tiergarten zurückzukehren. Denselben Versuch machte ich dann noch einmal um 16.30 Uhr, immer noch in der Hoffnung, am Lützow-Ufer in unserer Zweigniederlassung ein Quartier zu finden – mit demselben Erfolg. Ein erneuter Versuch, vom Tiergarten in Richtung Zoo weiterzukommen, war durch den Funkenflug und den Wind ohne Brille unmöglich, trotzdem der Feuersturm inzwischen nachgelassen hatte.
Da das Brausen in der Luft und der weithin gehende Funkensturm in dem Tiergartenweg nachgelassen hatte, versuchte ich es gegen 17.30 Uhr noch einmal, zum Lützow-Platz durchzukommen. In der Friedrich-Wilhelm-Straße war kein Haus zu sehen, das nicht ausgebrannt war. In den meisten Häusern wütete allerdings noch der Brand, so dass die Hitze stellenweise noch erheblich war. An einer Stelle musste ich mir über Trümmer den Weg suchen. Insbesondere an der Ecke Herkules-Brücke brannte ein großes Haus noch lichterloh. Der Qualm und der Rauch waren an dieser Stelle so groß, dass ich die Herkules-Brücke erst entdeckte, als ich auf ihr stand. Jenseits des Lützow-Platzes war der Qualm nicht mehr so stark, immerhin aber noch so, dass das Ausmaß der Schäden nicht voll zu erkennen war, da ein Funken- und Ascheregen die Sicht sehr erschwerte. Linker Hand Ecke Lützow-Straße – Lützow-Platz brannte ein großes Haus scheinbar gleichzeitig in allen Stockwerken, da sämtliche Fenster dieses Hauses durch den Rauch gespenstisch hell in ihrer Umrahmung sichtbar waren. Auch am unteren Ende des Lützow-Platzes waren die brennenden Häuser zu erkennen. In Richtung Lützow-Ufer war die Sicht erst möglich, als ich die Ecke Lützow-Ufer überschritten hatte. Die Glut der brennenden Häuser gestattete nicht, die brennende Straßenseite zu betreten. Auf der linken Seite standen einige Anwohner mit wenig Hausrat. Von unser Zweigniederlassung konnte ich nur noch ein rot leuchtendes Portal erkennen, das den Rahmen für den zurückliegenden Brand darstellte. Auch gegenüber dem Lützow-Ufer (Rückseite Von-der-Heydtstraße) brannten die Häuser – und nach Aussagen der wenigen am Lützow-Ufer stehenden Anwohner war auch das gesamte Lützow-Ufer wohl den Flammen zum Opfer gefallen. Ein weiteres Vordringen war so zwecklos geworden, da ein Eindringen in die Brände gefährlich erschien und keiner der Anwesenden eine sichere Mitteilung machen konnte, wo die Flächenbrände zu Ende seien. Da ich auf diese Weise feststellte, dass sowohl unsere Zweigniederlassung wie auch das Hotel am Bahnhof Zoo vernichtet sein mussten, beschloss ich, auf demselben Wege wie gekommen Berlin wieder zu verlassen.
Im Laufe der Nacht konnte ich mehrere Tausend Personen in der Gegend Tiergarten in den Unterständen, z.B. der Straßenkreuzung Großer Stern und in den Schutzräumen Bahnhof Tiergarten und auf der Straße feststellen, deren ausgezeichnete Haltung auffiel. Weder Anzeichen von Panik als auch nur solche von trostloser Stimmung waren zu beobachten. Ein großer Teil war sich dabei noch nicht klar darüber, ob ihre Wohnung überhaupt noch stand, da dieser große Teil der im Tiergarten sich aufhaltenden Menschen nach ihren Aussagen aus den Vergnügungsstätten der Tauentzienstraße, der Gegend Zoo, zum Teil auch aus der Gegend Unter den Linden hier zusammenkamen. Unter anderem begegnete mir ein mindestens 60jähriges kleines Mütterchen, das mich am Großen Stern nach dem Weg zum Bahnhof Friedrichstraße fragte. Als ein aus dieser Gegend gerade herkommender Passant diese Frage hörte, meinte er, dass es unzweckmäßig sei, in dieser Nacht in diese Richtung zu gehen, worauf das Mütterchen seelenruhig erklärte: „Ich muss nach Hause, mein Sohn braucht morgen früh Frühstück!“.
Der Stand der Brände hätte nun ohne weiteres zugelassen, gegen den Wind in Richtung Westen den Tiergarten zu verlassen, wenn ich einen Schutz gegen den unerträglichen Augenreiz, hervorgerufen durch den Aschen- und Staubflug, gehabt hätte. Ich habe während der ganzen Nacht meine Gasmaske nicht vermisst, aber schon gleich zu Beginn einen Augenschutz. Wenn ich auch nur als Passant die brennende Straße betreten habe, so kann man aus dieser Erfahrung mit Sicherheit schließen, dass ein Einsatz ohne Augenschutz, also ohne Gasmaske oder zum mindesten Augenschützer völlig ausgeschlossen erscheint. Selbst als Passant, der ja nur für mich zu sorgen hatte, war stellenweise ein Weiterkommen nur möglich nach minutenlangem Stehenbleiben mit geschlossenen Augen. So war auch der Weg um 07.30 Uhr von der Charlottenburger Chaussee über die Berliner Straße zurück noch am frühen Vormittag durch den Augenreiz ein ausgesprochen unangenehmer Weg.
Etwa gegen 07.30 Uhr fuhren auch im Tiergarten eine größere Anzahl Gulaschkanonen an, und es schien, dass also bereits zu dieser frühen Stunde die Notverpflegung in Gang gesetzt wurde. Als es gegen 08.00 Uhr dämmerte, waren bereits die Aufräumkolonnen am Knie eingesetzt, die den dort etwa 5cm hohen Dreck, hervorgerufen durch den Ascheregen, mit Schippen vor sich herschoben. Überhaupt machte diese Straßenreinigung beim oberflächlichen Anblick den Eindruck, als ob es sich um Schneeräumkolonnen handelte. Leider war auch beim Rückweg eine genaue Beobachtung für mich unerträglich, da ich infolge der dauernden Augenreizung in der Nacht den gesamten Weg mit halb geschlossenen Augen gehen musste So sind mir zweifellos manche Beobachtungen entgangen. Ich musste dabei nochmals feststellen, dass ich praktisch allein durch den Augenreiz in diesem Moment kaum noch als einsatzfähig zu betrachten gewesen wäre. Der Augenreiz lies erst am Nachmittag nach. Der Schlamm und Dreck, der durch die Flugasche und den Regen gebildet wurden, waren stellenweise so stark, dass man kaum glaubte, sich auf einer Großstadtstraße zu befinden.
Als erfreulichstes Bild kann festgestellt werden, dass mir auf dem ganzen Weg bis zum Bahnhof Jungfernheide kaum Menschen begegneten, von denen man sagen konnte, sie wären auf der Flucht. Man hatte bei fast allen den Eindruck, dass sie entweder zu ihrer Behausung strebten, oder, wie in vielen Fällen festzustellen war, bei der Bergung dessen, was noch zu bergen war, beschäftigt waren. In der Gegend des Richard-Wagner-Platzes fielen mir dabei zwei ältere Frauen auf, die sich mitten auf der Straße auf zwei Lehnsesseln niedergelassen hatten, beide eine Volksmaske aufgesetzt und einen Regenschirm aufgespannt hatten. Um sie herum war ein Teil ihrer Habe, darunter auch Bettwäsche aufgebaut – und während die eine der Frauen eifrig darüber wachte, dass keine Funken ihre Habe entzündete, war die zweite auf ihrem Lehnstuhl unter ihrem Schirm regengeschützt eingeschlafen.
Während sich auf der Strecke vom Knie bis zum Richard-Wagner-Platz kaum noch Abwehrmannschaften in Tätigkeit befanden, war am Rande des Schadensgebietes noch eine größere Anzahl kräftig bei der Arbeit, denn die Brände waren an den meisten Stellen noch keineswegs erloschen. Stellenweise waren auch morgens noch einige untere Etagen noch nicht vom Brand erreicht. Dementsprechend wurde die Sicht erst besser, als ich die Lohmeyerstraße kurz vor dem Charlottenburger Schloss erreicht hatte. Aufgrund der nächtlichen Erfahrung glaubte ich nun vom Bahnhof Jungfernheide in Richtung Westen den Früh-D-Zug noch erreichen zu können. Am Bahnhof Jungfernheide musste ich allerdings feststellen, dass die gesamten Strecken nach Richtung Westen gesperrt waren, da man inzwischen auf der Strecke bei Ruhleben, wie man mir sagte, einen Blindgänger entdeckt hatte, der unsere Herfahrt, da man ja nicht von ihm wusste, nicht behindert hatte. So wurde ich zum Bahnhof Westend verwiesen, da die Ringbahn ab Bahnhof Jungfernheide funktionierte. Hier verließ ich den Zug, da ich inzwischen erfahren hatte, dass die S-Bahn von Westkreuz nach Spandau ebenfalls gesperrt war und daher nur zu Fuß nach Spandau zu gelangen war.
Auffällig war an diesem Vormittag, dass sämtliche Menschen auf der Straße völligste Ruhe bewahrten, keinerlei Panikstimmung zu erkennen war und das ferner der weitaus größte Teil der Bevölkerung mehr Unwillen darüber zeigte, dass sie nicht an ihre Arbeitsstätten befördert werden konnten, als über die Schäden und den Angriff als solchen. Insbesondere am Bahnhof Spandau-West stauten sich die Menschenmassen, die in die Stadt hinein wollten, während das Publikum, das den Bahnhof in Richtung Hamburg verlassen wollte, offensichtlich Reisepublikum war. In der Gegend von Ruhleben profitierte ich bereits von einer improvisierten Fahrteinrichtung, die ein Fuhrunternehmer mit seinem Lastwagen in Gang gesetzt hatte, um Arbeitskräfte nach Spandau zu bringen. Auf dieser Fahrt befanden sich z.B. einige Arbeiter, die erzählten, dass sie die Nacht im Freien verbracht hätten und jetzt zu ihrer Arbeitsstätte nach Spandau wollten.
Beeindruckender Bericht; diese Generation, der auch mein Vater angehörte (Rußlanderfahrung, Jg. 1912) wird es nicht noch einmal geben, leider.
Sie wäre in der jetzigen Zeit so notwendig!